Liebes Archiv … Einträge vom Juni 2006

5:3 nach Elfmeter.

Fanmeile? Nee danke! Seh ich die schwarzrotgoldene Menschenmasse sich johlend und Bierflaschen schwenkend vom Hauptbahnhof über die schmale grüne Brücke an den großen Fußballschuhen vorbei zum Tiergarten wälzen, weiß ich: das muß ich nich haben. Im Fieber! Alle im Fieber! Grüne Epidemie, hochansteckend!
Ganz anders läuft es natürlich im Treptower Park, nahe des Ehrenmals, alles ruhig, kaum jemand hat davon Notiz genommen, daß hier eine riesige Wiese mit zwei Großleinwänden und Freßständen mit Spezialitäten der gesamten bekannten Welt wartet. Hier kann der nicht Abwehrgeschwächte die Geschehnisse um die rollende Lederkugel entspannt beobachten. Denke ich. Pustekuchen! Vom Bahnhof windet sich eine ähnlich häßliche Schlange durch den Park. Trotzdem verpassen wir das Spiel nicht, Bier gibt es auch genug. Wir zittern uns durch Verlängerung und Elfmeterschießen, bis die Gastgebermannschaft endlich gewonnen hat. Man sollte das Spielfeld halbieren, diese Hochleistungssportler waren viel zu erschöpft, um uns spannende Unterhaltung zu bieten. Dann kommt Mia, dafür haben wir den Eintrittszuschlag bezahlt. Mia deutschrockt und die Mädels in der ersten Reihe vor der Bühne, die nur der Band wegen die Vorgruppe in den kurzen Hosen ertragen haben, kreischen und kennen den Text. Ich kann nicht mehr stehen. Dann wieder grün auf dem großen Schirm, doch die Menge zieht von dannen, erschöpft und befriedigt. Wir ziehen mit, dorthin, wo der Cuba Libre in Strömen fließt.

[] Berlin / für Freitach, 30. Juni 2006

In der Schaltzentrale der deutschen Demokratie.

    
Endlich oben, drin, ohne anzustehen, Vitamin B sollte man haben. Dank K., die gerade zum Praktikum im Bundestag ist, erhielt ich Zutritt zum Parlamentsviertel mit dem Reichstag und den neuen Betonklötzen. Hier wird Politik gemacht, an diesem Freitag etwas weniger allerdings, die blauen Sessel stehen verwaist, draußen bereiten sich Verrückte lautstark auf ein Fußballspiel vor. Wie architektonisch schlicht der Reichstag innen modernisiert wurde, hat mich erstaunt, nur ein paar Schriftzüge, Nachkriegsgraffiti russischer Soldaten an rohem Sandstein und wenige unverputzte Stellen lassen Geschichte erahnen.

[] Berlin / für Freitach, 30. Juni 2006

Pause.

    
Alles ruhig hier in der Innenstadt heute abend, nur von ferne dringt irgendwelcher musikartiger Radau an mein Ohr. Je näher ich der Adidas-Arena komme, desto klarer wird mir, es sind die singenden Schwarzäugigen Erbsen, die sich in dem nachgemachten Olympiastadion bekreischen lassen. Und ich radele einfach vorbei.

[] Berlin / Donnerstach, 29. Juni 2006

Dauerausstellung.

Heißt sie so, weil es den ganzen Nachmittag gedauert hat, wenigstens bis 1933 vorzudringen? Deutsche Geschichte von den Einzellern bis zur Demokratie, von Stammeswanderungen über Ritter und das Heilige Römische Reich, Waterloo und Germania bis zu Trabi und Käfer, alles, woran uns schulischer Geschichtsunterricht das Interesse ausgetrieben hat, gibt es im Deutschen Historischen Museum zu bestaunen. Volle Packung! Ich kann mir kaum was merken und muß wohl nochmal kommen. Gnadenlos bimmelt um sechs die Glocke, freundlich aber bestimmt werden wir hinausgebeten, keine Zeit und kein Platz im eingedrückten Kopf mehr für die Wanderausstellungen im neuen Anbau, die großzügigerweise im Eintrittspreis enthalten sind!

[] Berlin / für Donnerstach, 29. Juni 2006

Amalgam vs. Chlorella und versunkene Schätze.

 
Heute war es soweit: meine letzte Fehlfarbe ist aus der Gusche verschwunden, zwar sind jetzt dreizehn von achtundzwanzig Zähnen Sondermüll, aber nun kann ich das ganze Schwermetall ausschwemmen - mit Chlorella, einer netten Alge, die mir, in Tablettenform eingenommen, Grünschiß und quecksilbrige Pisse beschert. Nach vier Wochen bin ich dann clean!
Inzwischen wieder ein wenig Bildung und diesen Teil kann ich wärmstens empfehlen. Im Martin-Gropius-Bau werden die teilweise unglaublich gut erhaltenen Überbleibsel von tausenden Jahren Besiedlung der ägyptischen Küste - Alexandrias und der Abukir-Bucht - gezeigt und ihre Hebung aus dem konservierenden Meerwasser. Wahrscheinlich seit deren Untergang bei einem Erdbeben um das Jahr 746 ist die Küste Ägyptens gespickt mit Artefakten mehrerer aufeinanderfolgender Kulturen, ganze Tempel haben nur darauf gewartet, endlich aus dem Wasser gezerrt zu werden. Im Kombiticket kann man außerdem Einblick in die vatikanische Kunst des Barock gewinnen. Leider darf man im ganzen Haus nicht fotofieren, dennoch, es lohnt sich!

[] Berlin / Mittwoch, 28. Juni 2006

Wie geht's, wie steht's?

Der erste Teil der Frage hat dieser Tage weiter an Gewicht verloren, ich reise von Strandbar zu Strandbar, solange mich mein Hintern trägt und das eine oder andere Mal fällt auch mein Blick auf die allerorts begafften Fernseher und Leinwände, die immer nur kleine Figürchen mit bunten Hemden auf grünem Grund zeigen. Und diese Figürchen haben sich offensichtlich abgesprochen, die interessierten Zuseher bis in die letzten Minuten der Partie im Unklaren halten, welche Farbe jubeln darf und für wen das lustige Ferienlager zuende ist. Und mich deucht, die rauhen Gesellen sind dereinst auf die Rütli-Schule gegangen. Gut Holz wünschen sie sich wohl, bevor sie den Rasen betreten. Und sie haben von den Vögeln gelernt, auch von Pantomimen und Zirkusclowns, nur mit der Professionalität ist es oft nicht weit her. Aber was geht mich das an!? Was dreht?!

[] Berlin / Montach, 26. Juni 2006

Monumentale Erinnerung.

    
Man fühlt sich wie in Tikal, der alten Inkastadt mit ihren riesigen Tempeln mitten im Urwald und das war wohl auch die Idee, als das sowjetische Ehrenmal in den Treptower Park geplant wurde. Herumlungern wird hier immer noch nicht geduldet. Doch die Zeit, da es als Pilgerstätte fügsamer Schulklassen in demütiger Pflichterfüllung herhielt, liegt weit zurück. Derzeit wird mal wieder restauriert.

[] Berlin / Sonntach, 25. Juni 2006

Abpfiff im Postfuhramt.

    
Sorry Sir, aber mit Ausnahme des ewig lächelnden Ronaldinho sehen sie alle wie schwere Jungs aus, fehlt nur die hochgehaltene Nummer. Für die Ausstellung Abpfiff wurden Weltklassefußballer kurz nach einem Spiel abgelichtet. Primär galt mein Interesse eigentlich eh dem Gebäude. Doch leider leider leider war das Bauamt in der letzten Woche da und die domartige Schalterhalle mußte für Besucher geschlossen werden.

[] Berlin / Dienstach, 20. Juni 2006

3:0.

DEUTSCHLAND jubelt. Wer ist das, Deutschland? Was sollen die Milliarden von schwarz-rot-goldenen Fahnen an den Autos, wo wir doch bekanntlich das schlechteste Beispiel für Patriotismus sind? Sind die Jubilanten ausschließlich Bürger mit Migrationshintergrund, die mit ihrer zweiten Heimat jubeln, weil ihre erste nicht mitspielt?
Im Schatten des Jubels und der allgemeinen Sommerträgheit schmiedet die politische Koalition an Gesundheitsreform, Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer, kein Schwein hört zu, Frau Merkel verpaßt kein Deutschlandspiel - Ablenkung?
Am Oststrand fürchte ich, ordentlich naß zu werden, doch die Kumuluswolken verziehen sich, ohne inkontinent zu werden, der Abendhimmel wird wolkenlos.

[] Berlin / für Dienstach, 20. Juni 2006

WM mobil.

 
Wie konnte ich nur die schnellste Idee des Landes unterschlagen, derer in Berlins Straßen gedacht wird?!
Zig Generationen deutscher Ingenieure haben ihr KnoffHoff hergegeben, damit der Ruf deutscher Automobile rund um die Welt nie verstummt.

[] Berlin / Sonntach, 18. Juni 2006

Schwamm drüber, 1:0.

Tja, soo einfach sind solch gebildete und smarte Leser nicht aus der Reserve zu locken, ne?! An einem sonnigen Mittwoch im Juni, nachdem ich mir am Oststrand der Spree, gleich hinter der East Side Gallery, übermütig einen Gin Tonic reingezogen hatte, fühlte ich meine Augenlider schwer werden und mußte zugeben, daß eine große Apfelschorle mir besser getan hätte. Ich gab Morpheus' Drängen nach und das spannende Buch sank in meinen Schoß. Im Halbschatten des Holunderbusches schlief ich den kleinen Rausch aus, während Agnes leise im Rhythmus der flachen Wellen an ihren Ketten zerrte. Eine junge Mama mit ihren acht Kindern hatte sich derweil zu uns gesellt, ich erwachte und fühlte mich. Daher genehmigte ich mir eine große Apfelschorle und fraß weiter an meinem Buch, während die Sonne gegen segensreiche Wolken anfocht.
Erfolgreich hatte ich bis dahin den Fernseher hinter der Bar ignoriert, um später doch am Bundespressestrand in geselliger Enge die schwere Geburt eines Tores der Gastgebermannschaft mitzuerleben. Sommer in Berlin.

[] Berlin / Donnerstach, 15. Juni 2006

Schlaftablette.

    
Nach dem spannenden Abend vor der Leinwand oder dem Großbildfernseher im sommerlichen Biergarten braucht man vor lauter Aufregung ein Schlaftablette, johlend ziehen die Deutschlandfahnenschwenker durch die Stadt, als wäre die Meisterschaft schon gewonnen. Man muß sich ein bißchen einfeiern.

[] Berlin / Mittwoch, 14. Juni 2006

Ich weiß nicht was ihr an mir findet.

Mal ehrlich, auf diesem Netzplatz wird doch nur gejammert und geschimpft! Was zieht euch, liebe Leser, jeden Tag hierher? Das will mir so spontan erstmal nicht in den Kopp.
Im Moment bin total mega-hyper-überfordert von der Tatsache, vier Wochen Uhrlaup (wird das so geschrieben?) eines weit zurückliegenden Jahres abbauen zu dürfen. Die Papiere der letzten vier Monate stapeln sich überall, die - immerhin - gewaschenen Hemden hängen wie in einer billigen Boutique überall herum und warten gebügelt zu werden, saubere Teller werden rar. Ich flüchte in die Strandbars (worum mich der leidende Bürohocker beneiden wird), um diesem Elend zu entgehen. Vielleicht zerstöre ich nun diese geheimnisvolle Anziehung, die mein Geschreibe ausübt?! Zur Feier des Tages darf sich JEDER da unten im Kommentarfeld austoben und mal seine geschätzte Meinung vom Stapel lassen!

[] Berlin / Dienstach, 13. Juni 2006

Alles voller Flusen.

    
Federleicht und nervig schweben die weißen Flusen durch die Stadt, die Schwarzpappel streut ihre Samen mit wolligem Haarschopf in die Luft wie ich es noch nicht gesehen habe. Wie schwerelose Schneeflocken legen sie sich aufs Wasser, springen mir absichtlich ins Auge. Sie bedrohen und verdrängen die angestammte Spezies der Wollmaus aus ihrem Territorium. Warum greift niemand ein? Gibt es noch kein Gesetz dagegen? Was machen denn diese Politiker den lieben langen Tag?

[] Berlin / Montach, 12. Juni 2006

4:2.

   
Der halbe Tiergarten abgeriegelt, schärfste Personenkontrollen an den Eingängen zur Fanmeile vom Brandenburger Tor zum Großen Stern. Den lichten Massen nach hatten Hunderttausende keine Lust auf lange Warteschlangen und waren nicht so aufsässig wie wir, die wir über den Zaun geklettert sind.
Das Abendspiel wollten noch weniger Leute sehen. Billiges bayerisches Lokalfernsehen und ohrenbetäubende Werbung aus den Riesenfernsehern hat wohl die meisten vertrieben. Wieder so ein Kleinstadtstreich. Was macht eigentlich eine Weltstadt aus? Die Organisation derartiger Großveranstaltungen wohl nicht. Warten wir mal ab, ob es sich eingespielt hat, wenn's ins Finale geht.

[] Berlin / Freitach, 09. Juni 2006

Germany - Land of Ideas.

    
Außer der Pille gibt es da noch die Noten am Gendarmenmarkt, die Fußballschuhe am Hauptbahnhof (uns Adi hat die aufschraubbaren Noppen erfunden!!!), die Bücher am Bebelplatz und die relativ theoretische Gleichung EgleichEmZehQuadrat im Lustgarten. Hat man die alle gesehen, weiß man, was wir Deutschen so für Ideen haben.

[] Berlin / Donnerstach, 08. Juni 2006

Beruf: Adressenhändler.

Woher weiß denn bitte sehr die Hypo-Vereinsbank meine Adresse? Oder die anderen Kundenhaie, die mich persönlich anschreiben, ohne mich jemals getroffen zu haben? Nicht ohne Grund will ich im Telefonbuch fehlen. Ich halte mich von irgendwelchen Payback-, HappyDigit- und Sonstwie-Karten fern und zahle im Laden am liebsten bar - warum? Darum! Im Kaufhof wird man nach der Postleitzahl gefragt, kleiner Vorgeschmack auf den gläsernen Kunden, als der wir am liebsten gesehen werden. Amazon will mir sagen, was ich bitte wollen möchte, sobald ich mich angemeldet habe, schließlich lesen sie genau mit was ich kaufe, genauso geht's mit Kundenkarten. So kann man mir auf mich zugeschnittene Ware anbieten. Wie nett. Durch ein klitzekleines Datensicherheitsloch sickern meine Daten an andere Firmen, die mich mit Werbung zuschmeißen. Und keiner will's gewesen sein. Von der Telekom bekomme ich bei jeder Anmeldung die Bestätigung, daß meine Daten ins Telefonverzeichnis aufgenommen wurden - huch, Verzeihung!
Natürlich haben da einige ihr Hobby zum Beruf gemacht und sind Adressenhändler geworden. Ein einträgliches Geschäft, so sorglos wie Leute mit ihren persönlichen Daten um sich schmeißen, um Rabatte abzufassen und in dubiosen Preisausschreiben zu gewinnen. Ja, ihr seid gemeint!

[] Berlin / Mittwoch, 07. Juni 2006

Pralle rote Tomate.

Es ist eben so, eine Sache von vielen, wie sich unser Leben verändert, Stück für Stück, unmerklich in seiner Gesamtheit. Niemand regt sich auf über den Zustand von Obst und Gemüse im Regal, das tausende Kilometer zurückgelegt hat um hier meinen Unmut zu erringen. Die weitgehende Geschmacklosigkeit bei prallen Formen und glänzendem Äußeren ist normal geworden, nicht nur bei Tomaten. Ich empfehle den Konsum des Films We feed the world im Kino, zur Information über das, was wir nicht wissen wollen.
Ist Essen noch genießbar? Man hat ja schon gehört und gelesen, daß wir eigentlich nur noch Dreck fressen, Convenience Food - Tiefkühlpizza und Burger mit Cola runterspülen. Unbehandelte, also unverarbeitete Nahrung wird uns fremd. Und auch wenn wir altmodischerweise frisches Gemüse und Obst kaufen, ist es nur nutzloser Dreck?
Groß und glänzend liegen sie da, die sonnengereiften Tomaten aus den Gewächshäusern in Almeria oder dem Senegal. Spätestens zuhause, wenn man mit viel Mühe und Kraft, für mich immernoch ungewohnt, für Neukonsumenten aber eine normale Erfahrung, die pralle Frucht geteilt hat, merkt man es: Zonk gezogen, Niete! Was tun damit? Mit Aroma, Vitaminen und Spurenelementen würzen und runterwürgen?

[] Berlin / Dienstach, 06. Juni 2006

Hoch im Norden.

   
'Liebe liebe Sonne, komm ein bißchen runter / laß den Regen oben, dann wollen wir dich loben'.
Wie ein Mantra sang das unschuldige Kind diesen Reim und auch wenn er für so manchen unverständlich geklungen haben mag, die Sonne hat ihn verstanden und für einen Tag Gnade walten lassen. Sie spendierte einen Sonnentag, eingequetscht zwischen zweien, die dem April entwischt waren. Sie hat uns soviel Licht geschenkt, daß wir unvorsichtig wurden und später wie in Verlegenheit gebrachte Schulmädchen leuchteten.

[] Rügen / Montach, 05. Juni 2006

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.